Bosparans Fall

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Ein Mann gegen das Imperium. Eine Frau gegen die Götter.

“Wann werdet Ihr zurückkehren, Vater?” “So die Götter es wollen, werden wir vor dem Winter wieder in Bosparan sein. Solange geben wir das Reich in Eure Hände, Hela.”

So die Götter es wollen…


Die Speerspitze glitzerte kränklich mit purpurnem Gift. Sein Gott hat es ihm eingeflüstert. Sein Gott will es so, hat es so befohlen. Das Diamantene Sultanat würde untergehen, so war es bestimmt, und seine Hand musste dafür sorgen, dass der siegreiche Feldherr nicht zurückkehrte.


“Eure Majestät — Seine Horaskaiserliche Majestät — Der Horas ist nicht mehr. Die Wunde konnte nicht geheilt werden. Die Medicusse, die Magier, die Geweihten der Peraine — sie konnten nichts tun — die Götter haben Ihn zu sich befohlen — ”

Hela starrte den Haushofmeister an. Auf ihrer makellosen Stirn zeigte sich plötzlich ein Riss. Ein Augenlid. Es öffnete sich. Ein drittes Auge, auf ihrer Stirn. Schwarz wie ein Onyx. Der Haushofmeister kreischte, seine Augen quollen hervor. Flammen stießen aus den Augen heraus, er brach zusammen und eine Flammenlohe loderte aus seinem Körper.

Die Götter haben Ihn zu sich befohlen.

Hela lehnte sich zurück. Sie herrschte nun. Sie war Horas. Und ihr Reich umfasste den ganzen Kontinent, vom endlosen Ozean im Süden bis zur Schneeöde im Norden, von der Küste des Lieblichen Feldes bis zum Perlenmeer. Sie war die mächtigste Herrscherin dieser Welt. Wie ihr Vater zuvor.

Und offenbar war das nicht genug.


Was war zuerst? Das Edikt ihres Urgroßvaters, oder die Zwölfgötter?

Natürlich ist jeder einzelne der Zwölfgötter älter als das Edikt. Aber die Tatsache, dass es zwölf sind? Dass es eben diese Götter sind? Warum nicht Ankhatep statt Firun? Warum zwölf, warum nicht neun, acht, oder sechs? Gar nur eine?

Was war zuerst? Die zwölf Erzdämonen, oder die zwölf Götter? Spiegelten die einen die anderen? Hatte Silem die zwölf Erzdämonen durch das Edikt womöglich erst erschaffen? Was war mit den Dämonen, die keinem der Gegenzwölf folgten, und auch nicht dem ohne Namen? So viele von ihnen sind gerufen worden, so viele selbst beschworen, beherrscht, befohlen. Doch die Antworten waren verwirrend und widersprüchlich. Eine der Erzdämoninnen, Charypta, schien einst eine Göttin gewesen zu sein. Die alten Quellen in Aureliani bestätigten dies. Oder waren das alles Lügen? Die wenigen Wahrheiten waren nur noch verwirrender. Und alle wollten sie ihre Seele. Ihre Seele für die Wahrheit. Nein! Dieser Preis war zu hoch. Ihre Seele gehört Ihr allein, Ihr, keinem Dämon, keinem Gott.

Eine Wahrheit hatte sie erhalten. Vaters Tod. Einer der Götter gab den Befehl. Sie wusste nicht, welcher, doch welche Rolle spielte das schon? Ihr Leben war ihnen genauso ausgeliefert. Ihres, und das jedes anderen Menschen.

Silem, warum? Warum diese Zwölf? Haben sie mit Euch geschachert, Urgroßvater? Wie sah Euer Handel aus? Was habt Ihr erhalten, Urgroßvater? Musstet Ihr dafür diese Bücher vernichten? Das Wissen über die Theurgie. In den Tagen nach dem Edikt brannten die Tempel jener Götter, die nicht zu den Zwölfen gehörten. Und in diesen Feuern brannte auch manches mehr. Uraltes Wissen, in Aureliani geschrieben, für immer aus Aventurien verbannt. Warum, Silem? Was wurde Euch dafür gegeben?

Wie dem auch sei. Das Edikt ist keine hundert Jahre alt. So kurz erst her, und doch waren die alten Götter schon verschwunden. Eben wirkten sie noch Wunder, wurden in Tempeln angebetet, und halfen ihren Geweihten, und nun sind sie nicht mehr. Ras’Ragh. Ankhatep. Numinor. Vergessen. Verloren. Verweht.

Wer sagt, dass was mit diesen Göttern geschah, nicht auch den Zwölfen wiederfahren mag? Wer sagt, dass wir Menschen die Götter brauchen? Kann es vielmehr sein, dass die Götter uns brauchen?

Ist es möglich, dass wir unser eigenes Schicksal beherrschen können, statt es den Göttern anzuvertrauen? Kann der Mensch sich von den Göttern befreien?


“Sprecht, Drakhard.”

Der Geisterschmied trug seine weit bekannte, vielfarbig schillernde Metallrüstung, darunter ein feines Kettenhemd, beides ein Beweis seiner einzigartigen Fähigkeiten. Er lächelte und hielt einen Ring hoch. Hela flüsterte einen Odem und wenige Momente später hob sie ihre Augenbraue.

Drakhard erkannte ihren Spruch, grinste, und zog den Ring auf. Ein Sonnenstrahl stieß aus dem Ring und fiel auf den Boden, so hell wie die stärksten Mittagssonne anfang Praios.

Hela trat zu Drakhard, ergriff seine Hand. Sie schob ihre Krone zurück, nur ein wenig. Drakhard grinste zunächst stolz, doch dann sah er das Dritte Auge auf der Stirn der Horas. Alle drei Augen fixierten den Ring. Das Auge schloss sich wieder. Die Horas rückte ihre Krone wieder zurecht und schaute ihn erstaunt an.

“Der Ring ist nicht magisch”, stellte sie fest.

Drakhard atmete schwer. Er konnte nicht glauben, was er eben gesehen hatte. Was war —

“Wer hat diesen Ring erschaffen?”, fragte die Horas.

“Ich.” Drakhard versuchte nicht zu lange zu zögern. Er musste sich konzentrieren. Er ertappte sich dabei auf die Krone der Horas zu starren, auf jene Stelle wo eben noch —

“Wie, wenn nicht mit Magie? Ist der Ring geweiht?”

Drakhard schüttelte den Kopf. “Horaskaiserliche Majestät, ihr habt Recht, karmale Kraft zu vermuten. Doch es ist keine Weihe. Niemand flehte Praios um das Wunder an, diesen Ring zu segnen und zu weihen.”

Ein Lächeln legte sich auf das Gesicht der Horas. Endlich. “Praios wurde nicht gebeten. Er wurde gezwungen.”

Drakhard nickte.


“Die jetzt zu euch spricht, ist Hela-Horas, eure Herrin! Wir befehlen euch, euch nicht in unsere Angelegenheiten zu mischen. Wenn ihr gegen uns aufbegehren wollt, kommt herab und löscht die Flammen!” Ihre Stimme schallte in den strahlend blauen Himmel über Bosparan.

Die Menschen in den Straßen und Plätzen Bosparans riefen ihren Namen. Ihre Begeisterung fegte durch die Stadt. Ja! Seht zu, wie wir die Fesseln der Götter abwerfen! Versteht, dass diese Acht aus Gareth hier für unsere Freiheit brennen! Schickt den Zwölfen ein Zeichen! Unser Schicksal gehört in unsere Hände!

Sie spürte das Donnern Rondras. Sie spürte die Flut Efferds. Sie spürte die Gerechtigkeit Praios. Sie spürte die schiere Kraft Ingerimms. Hammerschläge, Blendstrahlen, Donnerblitze, Sturmböen, all sie donnerten, hämmerten, tosten, brannten gegen das Schild welches sie aufgebaut hatte. Keiner der Zwölf wird sie heute aufhalten. Sie hatte es befohlen! Sie hielt die Götter auf, sie allein!

Sie war Horas. Kaiserin über Aventurien. Botin des Lichts. Trägerin des rechten und des linken Szepter. Magistra Maxima. Meisterin der Dämonen. Herrin über die Götter. Befreierin der Menschheit.

Sie war Herrin über ihr eigenes Schicksal.


Aventurischer Hintergrund. Vor etwas mehr als tausend Jahren ließ sich Hela, die Herrscherin des Bosparanischen Reiches, als das Imperium im absoluten Zenith seiner Macht steht, zur Göttin ausrufen, gar zur Herrin über alle Götter. Die Götter bestraften dies mit Bosparans Fall, dem Untergang des Imperiums. Aus dessen Trümmern erbaute Raul der Große das Neue Reich, das heute noch das größte Reiche Aventuriens ist.

Irdischer Hintergrund. Ich habe in den letzten Tagen Daniel Jödemanns Romane “Die letzte Kaiserin” und “Der erste Kaiser” gelesen, und wurde gut unterhalten. Ich will die beiden Romane hier aber nicht rezensieren oder gar kritisieren, sondern lediglich eine Alternative skizzieren, die jetzt aus naheliegenden Gründen ohnehin nicht mehr geschrieben werden kann.

Die beiden Romane sind die ersten DSA-Romane die ich in langer Zeit gelesen habe. Ich habe sie gezielt gelesen, weil ich genau diese Geschichte selber schreiben wollte: vor ziemlich genau zwanzig Jahren schickte ich Ulrich Kiesow ein Expose für zwei Romane — einer zum Leben von Geron dem Einhändigen, einer zu Bosparans Fall. Er erlitt zu dieser Zeit seinen ersten Herzinfarkt, davon erfuhr ich ein paar Monate später in einer freundlichen Antwort, welche zudem die Vorschläge ablehnte. Angesichts meiner Schreiberfahrung und der Qualität meiner damaligen Arbeit — ich war noch Teenager — war das mit Sicherheit eine gute Entscheidung.

In meinem Konzept für “Bosparans Fall” war Hela nicht nur die (schließlich tragische) Protagonistin des Romans, sondern auch deren Heldin. Raul hatte ich nie ausreichend ausgearbeitet, weil ich ihn nie sonderlich interessant fand (mit Recht ein weiterer Grund, warum mein Vorschlag abgelehnt wurde). Daniel hingegen gibt Raul die Hauptrolle in seinen Büchern, und gibt ihm wunderbar passend die Rolle des Heldenkaisers.

Hela hingegen blieb in Daniels Büchern leider enttäuschend blass: ihre Motivation ist nie nachvollziehbar sondern höchstens Karikatur, es werden interessante Schwächen eingeführt — die Epilepsie und die Stimmen — doch spielen diese gar keine Rolle in ihrer Niederlage, oder in den Büchern überhaupt.

Raul war für mich — und so erscheint es auch in Daniels Romanen — nur ein Agent der Götter. Er ist kein Revolutionär. Das Neue Reich ist nur eine Fortschreibung des späten Bosparanischen Reiches. Hela hingegen war die Revolutionärin, sie wollte die bestehende Ordnung verändern. Raul wollte sie erhalten, so wie sie war, bevor Hela auf den Plan trat.

Mit diesem Text will ich zumindest Hela ein wenig verständlicher und interessanter skizzieren, und sie ein wenig mehr die Rolle spielen lassen die sie meiner Meinung nach verdient hat.


Nein! Sie starrte auf die vier gleißenden Figuren auf dem Schlachtfeld. Das war unmöglich! Sie konnten nicht eingreifen, sie durften nicht eingreifen! Nicht sie selbst. Das Mysterium von Kha verbietet es!

Die Erzdämonen wandelten leibhaftig auf Aventurien. Sie hatte sie gerufen! Sie hatte sie beherrscht! Sie hatte den Göttern befohlen, nicht einzugreifen, sie hatte einen Schild um Brig-Lo gelegt.

Doch diese Vier brachen das Weltengesetz. Der erste, der vorderste von ihnen, goldgleißend, blickte zu ihr. Blickte ihr ins Gesicht. Blickte ihr in die Seele. Sein Szepter fuhr durch Agrimoth. Dieser zersplitterte in siebzehntausende Teile. Gleißende Sonnenstrahlen zerstießen die Splitter zu Staub. Helles Licht verbrannte den Staub und verwandelte diesen zu nichts, bevor er sich auf die Schöpfung legen konnte. Praios blickte in Helas drei Augen und befahl.

Sie hielt stand. Sie fühlte Praios Zorn darüber dass die Seele seines Lichtboten nicht gehorchte, nicht in Flammen und Licht zerfiel. Sie fühlte seinen Befehl zu vergehen, und sie antwortete.

Nein!

Das Licht verlosch, die Vier waren nicht mehr zu sehen.

Ihr mögt das Weltengesetz brechen, aber Kha wird einen Preis verlangen. Ich bin Kha’Sar! Ich werde Khas Gesetz vollstrecken.

Sie schaute auf das Schlachtfeld. Die Erzdämonen waren nicht mehr auf dieser Welt. Ihre Truppen waren zerschlagen. Die Aufständischen richteten ein Gemetzel an, opferten das Blut ihrer Truppen dankbar den Göttern. Den Göttern, die eingriffen, sich selbst zu schützen.

“Rückzug!”, befahl sie, und die Prätorianer folgten.

Ihr könnt diese Schlacht gewinnen. Aber nicht die Welt. Nicht für die Ewigkeit. Andere werden Uns folgen. Andere werden verstehen, was hier geschah. Die Menschen werden ihre Freiheit erstreiten. Vielleicht nicht heute, vielleicht nicht durch Uns. Aber eines Tages werden wir frei sein.


Erstveröffentlicht auf Medium am 4. September 2015.

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